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Alltagsrenner – das Porsche 911 Carrera S Cabriolet im Test

Von null auf offen in nur elf Sekunden. Wir beginnen unseren Fahrbericht zum aktuellen Porsche 911 Carerra S Cabriolet nicht mit den üblichen Phrasen über Leistungsdaten und Fahrwerte. Denn seien wir einmal ehrlich: wer sich für die offenherzigen Neunelfer-Modelle entscheidet, der setzt andere Prioritäten als schnelle Rundenzeiten auf dem Nürburgring. Sehen und gesehen werden steht hier im Mittelpunkt. Besonders wenn die Farbe Indischrot gewählt wird. Ja, wir hätten auch Miamiblau zur Auswahl gehabt – nur steht diese Farbe, wie wir finden, einem wilden 718 Cayman S besser als dem gestandenen 911.

Indischrot birgt zudem einen weiteren Vorteil: diese Farbe kostet in Zuffenhausen keinen Aufpreis. Ganz nach dem Motto „Was nichts kostet, ist nichts Wert“ fährt Porsche bei unserem 166.820,95 Euro teuren Testwagen alles auf was gut und teuer ist. Angefangen vom 7-Gang-Direktschaltgetriebe PDK (3.510,50 Euro) über Porsches Dynamic Chassis Control PDCC (3.213,00 Euro), einer Hinterachslenkung (2.249,10 Euro) und der sündhaft teuren Porsche Ceramic Composite Brake PCCB (8.508,80 Euro) werden fahrdynamisch allerhand Wünsche erfüllt.

Was Porsche bei den Basismodellen des Neunelfers allerdings nicht mehr erfüllt, ist der Wunsch nach einem Saugmotor. Unser Carerra S der Modellreihe 991 „Punkt zwei“ besitzt einen 3,0 Liter Sechszylinder Boxermotor mit Turboaufladung. Gut oder schlecht? Nun, das liegt im Auge des Betrachters. Für Puristen ein ähnlicher Traditionsbruch wie 1997 die Abkehr von der Luftkühlung, macht es für den Daily Driver keinen nennenswerten Unterschied. Außer man ist von äußerst audiophiler Natur – dann könnte man sich durchaus am Turbopfeifen stören, das im mittleren Drehzahlbereich doch sehr deutlich nach vorne schallt. Zwar bietet die optionale Sportabgasanlage (2.606,10 Euro) auf Knopfdruck, insbesondere beim kurzen Lupfen des Gaspedals, das altbekannte Brabbeln und Rotzen – an den Boxerklang vergangener Tage reicht es aber nicht ganz heran.

Leistungstechnisch haben wir hingegen nichts zu kritisieren. Der 3,0 Liter Turbo steht ordentlich im Futter und liefert sein maximales Drehmoment von 500 Newtonmetern bereits ab gut 1.500 Umdrehungen pro Minute ab. Der 3,8 Liter Sauger im Vorgänger benötigte für seine 440 Newtonmeter noch ordentliche 5.600 Touren. Ein kleines Turboloch soll es wohl geben – wir konnten es allerdings nicht finden. Maximal bei manuellen Schalteingriffen ins PDK vermerkten wir ein leicht verzögertes Ansprechverhalten. Da die Automatik im 911 jedoch so gut ist, im Sport-Modus sogar noch besser wird, hat man nur äußerst selten einen Grund überhaupt mit den Schaltpaddels am GT-Lenkrad (273,70 Euro) einzugreifen.

Was uns kurz in den Innenraum des 911 991 führt. Das erwähnte GT-Sportlederlenkrad, mit seinen schicken Aluminiumeinlagen, ist sehr ansehnlich gestaltet, im Alltag aber leider etwas unpraktisch. Die Schaltwippen sind nur mit Mühe zu erreichen, der Lenkradkranz ist für unseren Geschmack zu dünn und darüber hinaus zu wenig ausgeschäumt. Wie man es besser machen könnte zeigt BMW in seinen aktuellen M-Modellen. Ein weiterer Kritikpunkt sind die adaptiven 18-Wege Sportsitze (3.272,50 Euro). An sich sehr bequem und mit gutem Seitenhalt versehen, neigen sie bei bestimmten Sitzeinstellungen zu unschönen Knarzgeräuschen. Jammern auf hohem Niveau könnte man jetzt meinen. Doch bei einem Auto jenseits der 160.000 Euro sollte der positive Gesamteindruck der sonst überaus wertigen Innenraumverarbeitung nicht unter solchen Lappalien leiden.

Ohne Fehl und Tadel ist hingegen die Abstimmung von Fahrwerk und Lenkung. Das optionale PDCC bügelt im Normal-Modus so ziemlich jede Piste glatt, taugt aber gleichzeitig für die schnelle Kurvenhatz im Hinterland. Auf Sport gestellt offenbart der Elfer hingegen seine Rennsportambitionen. Bretthart und immerzu unterstützt durch die optionale Hinterachslenkung ist definitiv der Fahrer das Limit. Selbst mit deaktivierten Stabilitätsprogrammen ist so viel Grip vorhanden, dass man den 991.2 schon ziemlich provozieren muss damit das Heck nach außen drängt. Und ist die Fuhre vor der nächsten Haarnadel doch einmal zu schnell: die Keramikbremsanalge verzögert den Carrera derart heftig, dass anschließend das ein oder andere Zwiegespräch mit dem Beifahrer fällig sein könnte. Dabei bleibt die Bremse stets gut dosierbar und sieht obendrein noch ziemlich gut aus. Ob sie für den Alltag nicht doch etwas zu viel des Guten ist, bleibt jedem selbst überlassen.

Die elektromechanische Lenkung arbeitet feinfühlig und direkt. Bietet ein präzises Einlenkverhalten und mittels Servolenkung Plus (261,80 Euro) lässt sie auch im Stadtverkehr und bei engen Parklücken nicht die nötige Leichtigkeit vermissen. Was wir ebenfalls nicht vermissen ist die Geräuschentwicklung, wie sie bei älteren Cabrios, herstellerunabhängig, ab einer gewissen Geschwindigkeit gang und gäbe war. Porsche verbaut am offenen 991 ein Akustikverdeck, das ähnlich niedrige Schallwerte liefert wie das Coupé. Interessant für alle Sonnenanbeter, die doch einmal die Höchstgeschwindigkeit von 304 km/h (PDK) austesten wollen.

Fazit

Früher war alles besser – die gute alte Zeit eben. Da waren die Boxer luftgekühlt, die Basis-Elfer freiatmend und ein Porsche Turbo knallte noch so richtig ins Genick. Stimmt, ist aber dennoch Blödsinn! Denn der aktuelle 991.2 fährt den Vorgängern meilenweit um die Ohren! Selbst der 991.1 hat seine Mühen am Faceliftmodell dranzubleiben. Zu gut hat es Porsche verstanden, das Thema Downsizing auf das Fahrzeugkonzept des 911 zu adaptieren. Wer dennoch einen aktuellen Neunelfer mit Saugmotor möchte, dem wünschen wir viel Spaß bei der Suche: nach einem der wenigen – und mittlerweile mindestens 500.000 Euro teuren – 911 R oder dem, für den Alltag eher untauglichen, GT3. Wir haben derweil Spaß im offenen Carrera S. So viel, dass wir gar nicht mehr aussteigen möchten. Unter 10 Liter Verbrauch, ein Kofferraum ausreichend für den Kurztrip an die Côte d’Azur und ein flüsterleises Cockpit qualifizieren den 911 auch weiterhin zum Alltagssportwagen par excellence. Nur eine Sache müsst ihr uns in Zuffenhausen noch verraten: funktioniert die Sprachbedienung Eurer Navigationseinheit nur auf schwäbisch?

Galerie
Technische Daten*

Modell: Porsche 911 Carerra S Cabriolet
Motor: Sechszylinder-Boxer-Turbo, 2.981 ccm
Leistung: 420 PS (309 kW) bei 6.500 U/min
Drehmoment: 500 Nm zwischen 1.750 und 5.000 U/min
Antrieb: Hinterradantrieb, 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe (PDK)
Verbrauch (ECE): 7,8 l SP100/100 Km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 4,1-4,3 s (ausstattungsabhängig)
Höchstgeschwindigkeit: 304 km/h
Abmessungen (L/B/H): 4,49 m/1,80 m/1,29 m
Gewicht: 1.605 Kg
Grundpreis: 123.856,00 Euro
Testwagenpreis: 166.820,95 Euro

*Herstellerangaben