Air Force V: Cadillac ATS-V im Test

Für Automobilisten ist es momentan ein hartes Brot. Erst zog langsam aber sicher das Downsizing großen Motoren den Sprit aus der Zapfpistole, dann wurde man beim Kauf von sauberen Dieselmotoren beschissen vom Feinsten und jetzt auch noch diese E-Mobilität. Was also tun? Farbe bekennen zum Lieblingsstück oder den Schwanz einziehen und einen Tesla kaufen?

„Der Tank ist voll. Sie kommen jetzt also knapp 400 Kilometer weit.“ Die Worte, die bei Übergabe des Testwagens mit Namen Cadillac ATS-V fielen, klingen jetzt noch in den Ohren. Die Frage nach der Größe des Tanks schien unangemessen, deshalb war erstmal leicht stutziges Frusten angesagt. Und beim nächsten Halt an der Zapfsäule ungläubiges Studium des Handbuchs. 62 Liter Tankinhalt, empfohlene Oktanzahl: 98. Na klasse. Harte Zeiten für Automobilisten. Sagten wir das schon?

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Nun denn, 470 PS und dreikommasechs Liter Hubraum wollen eben gefüttert werden. Isso. Wenn Du Sonntagabend auf der A7 Ulm hinter Dir gelassen hast und mit dem sich in der Sonnenbrille spiegelnden brennenden Planeten zusammen der Nacht entgegenfährst, scherst Du Dich einen Dreck um zur Neige gehende Ölvorräte. Is auch so. Dann drückst Du den Pin durch, massierst dem Allgäuer in seinem Duster schnell noch die Ohren, während Du Dich mit Maximaltempo 304 Deinem Ziel entgegenzoomst. Ok, Du musst ihm beim schnellen Boxenstop doch wieder kurzzeitig eine Führungsrunde auf der linken Spur überlassen. Aber Du hast halt einfach verdammt viel Spaß dabei. Es hat selten so viel Spaß gemacht, dreckig zu sein, wie im Cadillac ATS-V.

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Er schluckt eben, was ein Cadillac schlucken muss. Vielleicht haben sie ihm das in Michigan auch bloß eingetrichtert, um die amerikanische Kundschaft nicht vollends zu vergraulen. Dort ist ja eigentlich alles, was unter acht Zylindern daherkommt, reif für das Discounterregal. Der ATS-V vertraut auf den guten alten GM-V6, zwei Titanturbos klassisch angepflanzt und heraus kommen oben beschriebene Leistungsdaten. Und die drücken. Mit Macht. Trotz eines deftigen Gewichtsnachteils von 100 Kilogramm zum schärfsten Konkurrenten: dem BMW M3.

Bei dem fiel uns ja dessen überaus nervöse Hinterachse auf und wir hatten es mindestens noch schlimmer bei einem Cadillac erwartet. Fuß ins Bodenblech produziert Rauch im Rückspiegel. Oder so ähnlich. Ja, kann man im ATS-V. Aber nur mit äußerster Gewalt. Ansonsten gibt sich der Ami überraschend handzahm, selbst mit ausgeschalteter Traktionskontrolle produziert er viel Grip an der Hinterachse, solange die Straße trocken ist. Berechenbar trotz 603 Newtonmetern ab 3500 Umdrehungen pro Minute. Dazu tragen auch eine famose Kombination aus Fahrwerk und Lenkung entscheidend bei.

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Auffällig vor allem letztere. Eine fast schon übertriebene Direktheit ziert sie, sodass man sich auf schnellen Landstraßenabschnitten dabei ertappt, zwei bis drei Meter zu früh eingelenkt zu haben, so messerscharf reagiert der ATS-V auf den Lenkbefehl. Die Rückmeldung bleibt hierbei nicht auf der Strecke: am Volant weiß man stets, wie die Vorderachse steht, auch leichte Stöße werden durchgelassen, sodass man auch über den Fahrbahnzustand immer informiert ist. Falls die Informationsbeigabe noch nicht das Fahrwerk erledigt hat.

Denn dieses erweist sich ebenfalls als überaus straff und Kopfsteinpflaster scheint nicht gerade der übliche Straßenbelag auf den Highways rund um das Cadillac Entwicklungszentrum zu sein. Solange die Straßen gut ausgebaut sind, gibt es hingegen auch auf der Landstraße kaum etwas zu mäkeln: die magnetisch-rheologischen Stoßdämpfer reduzieren erfolgreich jegliche Wankbewegungen, der ATS-V liegt wie das sprichwörtliche Brett. Auf Straßen dritter Ordnung waren wir von der Abstimmung nicht ganz überzeugt: Schlaglöcher und Bodenwellen in Kurven sorgen für ein leichtes Aufschaukeln und Versetzen. Das kann der Mitbewerber aus Bayern doch etwas besser.

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Schwieriges Thema: die Achtgang-Automatik Hydra-Matic 8L90 aus eigenem Hause. Einfach gestrickt wie GM eben immer noch ist gibt es keinen anwählbaren Sportmodus, den soll das auch in der Corvette eingesetzte Getriebe anhand zig Fahrparameter von selbst erkennen. Funktionierte nur bedingt und nicht immer zuverlässig. Selbst im sportlichsten Fahrprofil Strecke war der achte (spritsparend lang übersetzte) Gang häufig spätestens bei Tempo 100 drin. Zum Cruisen gut. Also lieber manuell.

Doch auch hier wurden wir nicht ganz glücklich: zu lange brauchte das Getriebe zur Umsetzung eines Schaltbefehls, sodass man bei voller Beschleunigung ab und zu trotz rechtzeitigem Schalten im Drehzahlbegrenzer hängen blieb. Beim Runterschalten hingegen wurde der kleinere Gang derweil mit solchem Elan eingelegt, dass wir um die Haltbarkeit fürchteten. Optimierungsbedarf, check.

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Selbiges gilt für die ordentlich dimensionierte Sechskolben-Bremsanlage (hinten: vier Kolben) von Brembo, auch wenn wir der Ansicht sind, dass diese unter den Eskapaden einiger Kollegen vor uns schon ordentlich federn lassen musste. Die Anlage im Testwagen verfügte über keinen vernünftigen Druckpunkt und machte beim Bremsen aus hohen Geschwindigkeiten mit üblen Rattergeräuschen auf sich aufmerksam, sodass wir eine ausreichende Rennstreckenhaltbarkeit zumindest anzweifeln. Die volle Bremsleistung war dabei zwar über jeden Zweifel erhaben, doch es bleibt ein fader Nachgeschmack – gerade bei einem so schnellen und auf Performance getrimmten Fahrzeug.

So schnell? Oh ja, wir hätten ja fast diesen Motor vergessen. Denn der liefert einfach ab, wie es sonst nur Europäer tun. Wer möchte, schießt in 3,9 Sekunden auf Tempo 100 und die schüttelt der bärige V6 fast beiläufig aus dem Ärmel. Dazu passt der Sound, der weder moduliert noch über Lautsprecher im Innenraum wiedergegeben wird. Sondern nur über die vier Tröten am Heck, die ab 3.000 Umdrehungen ihre Klappen öffnen und einen satten, aber nicht aufdringlich lauten Klangteppich liefern.

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Die Drehfreude eines bestimmten bajuvarischen Sechszylinders sollte man jedoch bei weitem nicht erwarten. Dort, wo ein M3 gerade erst loslegt, geht dem ATS-V schon beinahe die Puste aus: über 5.500 Touren wirkt er zugeschnürt und beinahe gequält, bei sechseinhalb beginnt schon der rote Bereich, den man meistens lieber gar nicht auskostet: aus Angst, er könnte es übel nehmen. Hierdurch erzieht der Cadillac aber auch stärker zu einer standesgemäßen Fahrweise, die man sonst mehr mit einem Fleetwood Sixty Special verbindet. Dann kuschelt man sich in die zigfach verstellbaren Recaros, dreht die Musik auf und erfreut sich beim Cruisen an Verbräuchen nahe der Zehnlitermarke – ähm, ja, weniger geht nicht. Wirklich nicht.

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Problematisch ist dabei höchstens, dass man dann Zeit hat, das Interieur näher anzusehen. Und da drinnen, im ATS-V, ist tatsächlich noch Luft nach oben. Unsauber eingepasste Verkleidungen in den Sitzen fanden wir auch schon beim deutschen Mitbewerber, das billige Kunstleder auf dem Armaturenbrett kommt jedoch dem europäischen Anspruch nicht ganz so nahe. Und: Klavierlack in Verbindung mit Touch-Oberflächen in der Mittelkonsole ist optisch eine Katastrophe. Genauso wie das Bild der Rückfahrkamera.

Doch zurück schauen? Ja, werden wir vielleicht einmal, auf eine Zeit, in der es diese Autos noch gab. So mancher mag dann wehmütig sein, so mancher aber auch froh, dass die dreckigen Kisten weg sind. Und bis dahin treten wir alle nochmal kräftig den rechten Fuß durch.

Technische Daten*

Modell: Cadillac ATS-V Limousine
Motor: Sechszylinder-V, 3.564 ccm
Leistung: 470 PS (346 kW) bei 5.850 U/min
Drehmoment: 603 Nm bei 3.500 U/min
Antrieb: Hinterradantrieb, Achtgang-Automatikgetriebe
Verbrauch (ECE): 11,6 l Super Plus/100 Km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 3,9 s
Höchstgeschwindigkeit: 304 Km/h
Abmessungen (L/B/H): 4,64 m/1,81 m/1,42 m
Gewicht: 1.770 Kg
Grundpreis: 69.900 Euro
Typklassen (HP/VK/TK): 21/31/30

*Herstellerangaben

Fotos: Felix Maurer für evocars