Driven: Ford Focus RS (2010)

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Zwei Stühle, eine Meinung? Ein zweiter Test des 305 PS starken Krawallo-Focus soll zeigen, ob die evocars-Redaktion ihrem Testurteil treu bleibt.Wir müssen den wunden Punkt direkt ansprechen, die Optik. Gigantisch ausgestellte Radhäuser, ein unglaublicher Heckspoiler, Luftauslässe in allen Größen und Formen, sowie zwei Auspuffrohre, die vom Durchmesser her auch als DDR-Fluchtunnel hätten dienen können. Das Ganze dann noch in grellem Grün lackiert und der Auftritt ist perfekt. Oder eben ruiniert, je nach Betrachtungswinkel.

Natürlich, wer der Welt zeigen will, wie gut das eigene Sonnenstudio läuft und auf dem Parkplatz vor der Party immer den Clown spielen möchte, der ist mit dem Focus RS bestens bedient. Die Diskretion eines Golf R ist dem Focus RS völlig fremd und in Zeiten, in denen die meistverkaufte Farbe von Supersportwagen silber an Stelle von rot, gelb und orange ist, sollte man sich ernsthaft fragen, wen die Marketingabteilung von Ford im Blick hatte, als es um das Aussuchen der Zielgruppe ging.

Die Fahrwerksingenieure hingegen hatten vor allem Eines im Blick: maximale Verstörung von Porsche, Ferrari und Co. Warum? Weil der Focus RS jeden der Großen stehen lässt. Natürlich nicht auf gerader Strecke, doch auf winkligen Landstraßen mutiert der Kölner zum schärfsten Establishment-Schreck seit dem Erscheinen des Audi sport quattro. Dabei fällt es schwer ein Bild zu finden, das die Art und Weise beschreibt, wie der RS im Angriffsmodus durch die Kurven fliegt. Vielleicht trifft es der Katze-auf-den-Schwanz-Tritt am Besten: Ein Aufbäumen, Krallen zeigen, böse Fauchen und nach vorne springen. Das Ganze in einer Geschwindigkeit und Eleganz die Ihresgleichen sucht. Natürlich ist der Focus dabei noch ein gewöhnlicher Kompaktwagen mit viel Platz in der Passagierkabine, einem aufgeräumten Cockpit und jeder Menge Platz im erweiterbaren Kofferraum, doch genau wie der zurückhaltende und unauffällige Bürokollege kann auch der RS am Wochenende zum angriffslustigen Pöbler werden.

Mit 305 PS an der Vorderachse hat das Chassis alle Hände voll zu tun, damit die bereitgestellte Energie nicht nur nutzlos in Rauch aufgeht. Da ein Allradantrieb zu teuer und zu schwer gewesen wäre, hat man sich in Köln ein paar Tricks aus der Rallyeszene abgeschaut und ein neues selbstsperrendes Differenzial verbaut, wie auch die Lenkachse durch die RevoKnuckle besser von den Antriebseinflüssen entkoppeln können. Sicher, ganz abstellen kann man das Lenkradflattern nicht, schließlich wollen 440 Nm von Natur aus lieber Geradeausfahren und nicht in die Kurve, doch das System funktioniert wirklich gut. Selbst wenn sich ein Rad leicht im Bankett befindet bekommt man beim vollen Einnieten nicht das Lenkrad aus der Hand gerissen und doch haben die Kölner ihm ein bisschen Antriebseinflüsse beibehalten – die Physik lässt sich schließlich nicht aushebeln und wenn man ab und an daran erinnert wird, ist das für die Lebenserwartung von Fahrer und Fahrzeug ganz zweckdienlich.

Dabei scheint der Motor als erster von allen an der Vernichtung interessiert. Seine Power ist für ein Fahrzeug der Golfklasse schlicht gigantisch. Obwohl er als träger Volvo-Gaul das Licht der Welt erblickte, bekam er in Köln den Schliff zum Rennpferd. Kolben, Turbolader, Einlasskrümmer, Ladeluftkühler, Motormanagement und die sensationelle Auspuffanlage verwandeln den 2,5-Liter-Fünfzylinder völlig. Ein Turboloch gibt es zwar, aber so gehört es sich für einen echten aufgeladenen Charaktermotor. Was über 3000 Touren passiert, sucht jedoch seinesgleichen: wo der Konkurrenz bereits (öko-)politisch die Luft ausgeht, legt der RS noch einmal derart nach, dass es einem fast die Sprache verschlägt. Eigentlich ist das auch besser so, denn dann kann man den Aspuffsound besser genießen. Der Focus sprotzelt, ballert und knallt aus seinen Kanonenrohren, dass es eine wahre Freude ist.

In diesen Drehzahlbereichen ist der grüne Kölner derart schnell, dass das Hirn kaum mehr mitkommt. Doch selbst der dilettantischste Fahrer ist mit dem RS in der Lage neue Bestzeiten in den Asphalt zu brennen. Das Chassis reagiert in jeder Situation spektakulär vertrauensvoll. Zwar dreht sich das Heck mit ein und das kurveninnere Rad der Hinterachse verliert oft den Bodenkontakt, doch das ändert nichts daran, dass der Focus jeden Quadratzentimeter Asphalt in Grip umzusetzen scheint. Auf der Straße kleben bekommt hier eine ganz andere Bedeutung. Und es ist egal ob man ihn in den Lastwechsel zwingt, voll das Gas anlegt oder andere Spielereien macht, der RS liegt und geht. Immer. Überall. Gefühlt schneller als alles andere.

Dabei ist der Ford nicht perfekt. Da wäre zum einen die angesprochene Optik, die mehr als streitbar ist, zum anderen die kleinen Dinge, die einem das Leben mit dem Kölner erschweren. Die Schaltung könnte etwas präziser synchronisiert sein, der Innenraum liebevoller arrangiert und die Sitzposition sportlicher – sprich tiefer. Doch man muss sich immer noch vor Augen halten, dass man in einem Ford Focus sitzt. Im Gegensatz zu einem Porsche 911 vermutet man diesen eher auf dem Real-Parkplatz als auf der Nordschleife. Und doch schafft er es, den Fahrer eines Selbigen im direkten Duell mehr als nur zu irritieren.

Der Ford Focus RS ist ein spektakuläres Auto. In jeder Hinsicht. Das ist schade, denn wäre er weniger auffällig, würde er noch besser mit dem nahezu perfekten Golf R konkurrieren können und wir würden uns direkt einen vor die Tür stellen.

Technische Daten:
Modell: Ford Focus RS
Motor: Fünfzylinder-Reihemotor, Turbolader, 2521 ccm
Leistung: 305 PS
Drehmoment: 440 Newtonmeter
Antrieb: Vorderrad, Sechsgang-Manuell
Gewicht: 1467 kg
Verbrauch: 9,4 L/100 Km
0-100 km/h: 5,9 sec.
Vmax: 263 km/h
Preis: ab 35.900 Euro