Driven: VW Golf R

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Ist perfekt zu perfekt? Kommt der neue Golf R an den Kultstatus seines Vorgängers R32 heran? EVOCARS-Redakteur Fabian Mechtel geht diesen Fragen am Steuer des 270 PS starken Super-Golf auf den Grund.Der Motor mit der internen Bezeichnung AAA sorgte 1992 für großes Aufsehen in der Kompaktklasse. Nie zuvor hatte es ein Sechszylinder in diese Fahrzeuggattung geschafft. Die Gründe lagen auf der Hand, denn V6-Triebwerke bauten zu breit, Reihensechser zu lang und eigentlich passte ein derartiges Triebwerk auch preislich nicht in die Golfklasse. VW versuchte es mit dem VR6 trotzdem. Mit 15 Grad Zylinderwinkel und einer siebenfach gelagerten Kurbelwelle war das neue Aggregat ein Zwischending zwischen V- und Reihenmotor, das den Entwicklern einige Tricks, wie eine komplexe Steuerkettenmimik oder asymmetrische Ansaugwege, abforderte. Neben 174 PS aus 2,8 Litern Hubraum im frontgetriebenen Golf, gab es den VR6 auch als 2,9-Liter Version mit 190 PS im synchro Sowie der Verkaufserfolg des „Komfortmotors“, wie auch der unbestreitbare Imagegewinn für VW zeugten davon, dass man die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Mit Erscheinen des Golf IV wurde auch der VR6 gepflegt. Zwar verlor er aus Marketinggründen das R in seinem Namen, dafür spendierte man ihm einen Vierventil-Zylinderkopf, was 204 PS aus unveränderten 2,8 Litern Hubraum bedeutete. Doch der Leistungszenit der vierten Generation wurde erst 2002 erreicht, als man die R-Line gründete und mit dem R32 den Über-Golf für die Sechszylinder-Fans auf die Räder stellte. 241 PS aus 3,2 Litern Hubraum, ein optionales Doppelkupplungsgetriebe und der unvergleichliche Klang des VR6 machten auch ihn zum Verkaufserfolg.

Die fünfte Golf-Generation bekam ebenfalls wieder einen VR6 unter die Haube. Der R32 wurde hier mit einem neuen Allradantrieb, einem verbesserten DSG und 250 PS angeboten. Doch nach 16 Jahren Bauzeit kam im Juni 2008 das Ende für den VR6 im Golf. Der Sechszylinder war nicht mehr zeitgemäß, er verbrauchte zuviel, war zu schwer und zu teuer. Außerdem konnte er mit seinen 250 PS die Konkurrenz nicht mehr in Schach halten und die Möglichkeiten der Leistungssteigerung waren nahezu ausgeschöpft – der VR6 hatte seinen Dienst getan.

Mit der Moderne hadern die Gusseisernen VR6-Fans bis heute, denn im neuen Golf R schlägt ein kleineres Herz. Ein stärkeres zwar, aber ein kleineres. Der neue R schöpft seine Kraft aus vier Zylindern mit gerade einmal zwei Litern Hubraum, Direkteinspritzung und Turboaufladung. „Ihm fehle der Charakter, die Seele, das Besondere“ – so die einhellige Meinung. Doch ist dem wirklich so?

Wir haben im Rahmen der Scirocco-Cup R Vorstellung in Oschersleben die Gelegenheit genutzt und uns auf den leergefegten Landstraßen der Magdeburger Börde einmal eingehender mit dem 270-PS-Sportler auseinandergesetzt.

Schwarze 19-Zoll Talladegas, getönte Scheiben und ein rabenschwarzes Interieur machen schon im Stand Eindruck. Die großen Lufteinlässe in der Front, breitere Schweller und der Diffusor am Heck mit den Doppelendrohren adeln den R dann vollends zum Über-Golf. Mit zusammengekniffenen Xenon-Linsen und LED-Beleuchtung an Front und Heck spielt er auch beleuchtungstechnisch in der ersten Liga. Nach äußeren Gesichtspunkten kann man ihm also schon mal keinen Mangel nachweisen.

Überhaupt, es gibt gar keinen Grund Mängel zu suchen, denn man sollte im neuen Golf R schon im Vorfeld die VR6-Scheuklappen absetzen und um die Ohren binden – dann fällt das erste Anlassen auch nicht ganz so schwer! Natürlich bringt der EA113 genannte Vierzylinder die Endorphine weniger in Wallung als das sechszylindrige VR6-Orchester, aber er müht sich nach Kräften mit sattem Leerlaufbrummeln, Overrun-Patschen und einem kernigen Ansauggeräusch um die Gunst der Fans. Dass er dabei nie dröhnig wird oder dem Fahrer nach längerer Fahrt gar auf die Nerven geht, versteht sich für einen Golf natürlich von selbst.

So gibt es auch bei den Bedienkräften keinen Grund zur Klage. Lenkung, Bremse und Kupplung sind ohne Probleme zu bedienen, ganz wie man es aus Wolfsburg gewohnt ist. Dabei ist gerade das das Erstaunliche: Der R ist handzahm. Selbst die Kupplung der handgeschalteten Version könnte von den Bedienkräften her auch im 1,2-Liter-TSI ihren Dienst verrichten. Nichts stellt den Fahrer hier vor Probleme, mit dem R kann sprichwörtlich die Oma zum Kaffeekränzchen fahren.

Doch wehe, man fordert den R heraus und rückt in die oberen Drittel der Kennfelder vor. Denn dann wird der R zur Waffe. Die Lenkung liefert trotz ihrer Leichtgängigkeit eine saubere Rückmeldung, der Allrad-Golf lässt sich dadurch deutlich präziser fahren als seine GTI- und Scirocco-Brüder. Das Chassis legt den Fokus nicht mehr nur auf Sicherheit, sondern gewährt dem Neuen einen Kurvenenthusiasmus, den selbst die alten VR6-Schwergewichte nicht bieten können. Einen großen Anteil an der Agilität des neuen R hat aber neben dem überarbeiteten 4motion-Antrieb, der nicht mehr nur bei Schlupf die Hinterräder zuschaltet, sondern die Momentenverteilung jederzeit ändern kann, auch die Sonderausstattungsliste: Die auf dem Testwagen montierten 19-Zoll Felgen mit 235er-Pirelli-Bereifung sorgten in Kombination mit den adaptiven DCC-Dämpfern für eine sensationelle Traktion.

Darauf aufbauend präsentiert sich auch das Fahrwerk sauber ausbalanciert. Der R lässt sich unwahrscheinlich schnell fahren ohne dabei tückisch zu werden. Er verzeiht praktisch jeden Fahrfehler, bleibt dennoch für den Fahrer, der ihn richtig zu nutzen weiß, jederzeit transparent. Eingriffe des ESP gibt es nicht, der Grenzbereich liegt auf hohem Niveau und selbst das ABS hat man in Wolfsburg perfekt abgestimmt. Die Bremsanlage verdient ohnehin gesonderte Erwähnung, denn ihr ist die generell überdosierte Servounterstützung, die man sonst aus den Konzernfahrzeugen gewohnt ist, fremd. Das erleichtert ihre Bedienung auf der schnellen Runde ungemein. Zwar muss man ordentlich zulangen, doch genauso ordentlich verbeißen sich Belag und Scheibe dann – egal wie lange die Ausfahrt dauert.

Dabei liefert ihr der Motor jeden Grund zum Glühen, denn mit 270 PS, 350 Nm Drehmoment und einer Kraftentfaltung, die den Grat zwischen bärig und nutzbar auf den Punkt trifft, erreicht man mühelos Tempobereiche, die auf einer Landstraße schnell für ein pralles Punktekonto sorgen. Dafür ließ VW den neuen 2,0 TSI (EA888) im Regal und schärfte den aus dem Audi S3 bekannten „Alten“ nach. Ausgereift, haltbar und nun auch EU5-sauber präsentiert sich das Downsizing-Triebwerk in Topform. Homogen abgestimmt gibt es im R kein Turboloch oder andere Unsauberkeiten. Der Power-Golf bietet Druck bis zum Drehzahlbegrenzer, dem er immer wieder willig entgegenrennt. Natürlich braucht man dafür den Handgeschalteten, schließlich würde die DSG-Variante beim Erreichen der Drehzahlgrenze selbsttätig in den nächsthöheren Gang schalten. Doch es ist genau dieses bisschen Handschalter-Selbstbestimmung, das dem neuen Golf R zur Vollendung verhilft.

Der Golf R ist eine sehr gut funktionierende Fahrmaschine, er ist ein sehr gutes Langstreckenauto, er ist ein sehr gutes Familienauto – er ist ein Golf. Vielleicht der Beste, den es je gab? Zumindest der beste R, den es je gab. Ja, der Alte hatte einen besseren Klang, aber da sind wir auch schon am Ende. Der Neue kann alles besser, er ist ein fast perfektes Auto und wahrscheinlich ist genau das sein Problem. Wer liebt schon das Perfekte? Wir empfehlen deshalb den Golf R mit Schaltgetriebe, denn damit bleibt er immer noch nah an der Perfektion und lässt uns doch Raum für eigene Ideen.

Mit DSG wäre er wohl auch für uns zu perfekt, doch eine krachende Synchronisierung bei einem zu schnell und zu schlampig ausgeführten Schaltvorgang zeichnet zwar dem Getriebe kein Lächeln auf die Lippen, wohl aber dem Fahrer – denn der Gang ist trotzdem drin und die Beschleunigung reißt nicht ab. Der Golf erträgt die Fehler seines Fahrers mit großer Geduld und genau das macht ihn zum Charakterauto: Er zeigt dem Fahrer die schnelle Linie, das saubere Fahren, den Schritt in den Grenzbereich. Dabei wird er nie zickig, nie (über)fordernd, sondern einfach jeden Tag ein bisschen schneller.

Dass man als Fahrer selbst meist das schwächste Glied in der Fahrdynamikkette ist, gesteht man sich nicht gerne ein – dafür braucht man selbst Charakter…

Technische Daten:
Modell: VW Golf R
Motor: Vierzylinder-Reihemotor, Turbolader, 1984 ccm
Leistung: 270 PS / 6000 Umin
Drehmoment: 350 Newtonmeter / 2500 Umin
Antrieb: Allrad, Sechsgang-Manuell
Gewicht: 1521 kg
Verbrauch: 8,5 L/100 Km (Werksangabe)
0-100 km/h: 5,7 sec.
Vmax: 250 km/h
Preis: ab 36.825 Euro