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Ziviler Ungehorsam auf 4 Rädern: Die Corvette Z06 im Test

Wenn der Cadillac CTS-V mit dem Motor der hier vorgestellten Z06 bereits Chuck Norris ist, was ist dann in unseren Augen die besagte Corvette? Vielleicht eine Mischung aus Arnold Schwarzenegger und dem US-amerikanischen Langstreckenläufer Bill Rodgers? Der Supersportler im opulenten Muscle-Car-Outfit ist nicht nur martialisch in seiner Erscheinung, sondern auch brutal in seinem Antritt. In nur 3,7 Sekunden beschleunigt der Ami auf Landstraßentempo, 200 km/h fallen in knapp 11,0 Sekunden und abgeregelt wird erst jenseits der Marke von 310 Stundenkilometern.

659 PS und 881 Newtonmeter Drehmoment schinden nicht nur beim Autoquartett mächtig Eindruck, sondern sorgen auch dafür, dass man auf der linken Autobahnspur gebührend wahrgenommen wird. Im Normallfall gibt es keine ernstzunehmende Konkurrenz und andere Sportwagenfahrer werden meist so eindrucksvoll stehen gelassen wie sonst nur heulende Kinder vorm Ikea-Bällebad. Ist die Z06 dann nicht mehr zu sehen, wird sie der Hinterherfahrende auf jeden Fall noch lange hören. Das triumphale Lied aus 6,2 Liter Hubraum, es trägt viel Hohn und Spott für abgebrochene 4- und 6-Zylinder-Triebwerke deutscher Mittelklasse-Kombis in sich, die auf einmal gar nicht mehr so drängelnd den Blinker rechts setzen.

Viel besser kann ein Achtzylinder in unseren Ohren kaum klingen und wer im Bedarfsfall doch einmal nach Ruhe verlangt, der kann die Klappenanlage per Knopfdruck auch verstummen lassen. Plötzlich wird aus der wilden Z06 der brave Tourenwagen, den man gerne nutzt um entspannt gen Süden zu fahren – vorausgesetzt man behält die Nerven bei den tiefen Anbauteilen der Corvette. Ständig ist eine Tiefgarageneinfahrt zu angewinkelt, eine Bodenwelle zu hoch oder ein Schlagloch zu tief. Beinahe gewöhnt man sich an das Kratzgeräusch des Frontsplitters und weiß so auch ganz genau: Wenn es nicht mehr schleift, fehlt da irgendwas.

Wer schön (schnell) sein will, der muss bekanntlich leiden und damit darf sich der Corvette-Pilot zugleich ein wenig geadelt fühlen – haben solche Probleme sonst nur Porsche-, Ferrari-, oder Lamborghini-Fahrer. Ja, die Z06 ist ein waschechter Sportwagen, steht seinen deutschen und italienischen Mitbewerbern in nichts nach und weiß sogar mit etwas zu begeistern, was vielen hochgezüchteten Rennmaschinen aus Europa zu fehlen scheint: Der Spaßfaktor. Es ist toll, wenn man mit einem rasiermesserscharfen McLaren 570S über die nächtliche Autobahn donnern oder mit einem präzise arbeitenden Porsche Carrera T die Alpen unsicher machen kann – keine Frage.

Manchmal ist es aber so, dass das gebotene Fahrerlebnis beinahe zu perfekt, zu abgeklärt und zu gedämpft wirkt. Ganz nach dem Motto: Bewirf mich so lange mit Watte bis es weh tut, sind viele „Sport-Wagen“ ihrer sportlichen Attribute beraubt, werden instabile Fahrzustände nur selten toleriert und im Bedarfsfall fährt die 600-PS-Fuhre gar schon – fast – von alleine. Die Chevrolet Corvette Z06 ist da anders. Am Steuer fühlen wir uns durchwegs wie der Neunjährige im weiter oben beschriebenen Bällebad, diesmal aber mit Tränen der Freude im Auge, sind begeistert von der Einfachheit dieser amerikanischen Fahrmaschine und wissen doch zugleich: Wer die Kraft eines früheren Formel 1 Rennwagens steuert, der muss alle Sinne beisammen haben und darf sich nicht vollends dem Kind im Manne hingeben.

Hellwach muss derjenige sein, der mit der Z06 zum Rodeo reiten antreten will, sich traut die 659 PS mit hoher Geschwindigkeit in die nächste Kurve zu werfen und flott aber leicht quer aus dieser wieder herauszukommen. Sie mag nicht mehr so zickig sein wie ihre Vorgänger, doch verlangt auch die aktuell stärkste Corvette (auf dem deutschen Markt) nach einer geübten Hand am Lenkrad, die schnell die richtigen Korrekturen vornehmen kann. Wer unbedacht beinahe 900 Newtonmeter an die Hinterachse entlässt, dem helfen keine elektronischen Fangleinen mehr – für einen Bruchteil einer Sekunde liegt die Leistung in vollem Maße am Reifen an, was reicht um die Vette deutlich aus der Contenance zu bringen.

Aber das ist es, was diesen Sportwagen ausmacht. Nicht du tanzt mit ihm, sondern er mit dir. Gezähmt will die Corvette Z06 werden – durch ihre tolle Lenkung, dem im Track-Modus brettharten Magnetfahrwerk und der zackig schaltenden 8-Gang-Automatik (wir empfehlen dennoch klar den Handschalter) hat man dazu auch das passende Rüstzeug parat. Über den Sechszweier im Bug der Z06 brauchen wir uns nicht groß auszulassen: Er ist ein großartiger Motor, ein V8-Sahnestück der bereits als Sauger überzeugt und durch den aufgesetzten Kompressor in jeder Lebenslage einfach nur noch besser wird. Wer bei diesem Triebwerk nach dem Verbrauch fragt hat sich in der Regel für das falsche Auto entschieden, aber dennoch: Auf Überlandfahrten sind knapp unter 10 Liter Super Plus möglich, wer der Corvette Z06 kräftig die Sporen gibt kann natürlich auch mehr als das Doppelte verbrauchen.

Interessant sind überdies die Selbstheilungskräfte der von uns gefahrenen Corvette. Nachdem sie bei einem Ausflug in die Niederlande, deutlich spürbar, nicht mehr auf acht Zylindern lief und die Motorkontrollleuchte eine Leistungsreduzierung vermeldete, war nach einer gut 12 stündigen Standzeit alles wieder in bester Ordnung. Vielleicht lag es nur an den Geschwindigkeitsbegrenzungen im Nachbarland oder an Holland selbst – wir wissen es nicht. Was wir hingegen mit Sicherheit sagen können: Du gewinnst mit diesem Wagen ziemlich viele (beste) Freunde. Vom Corsa bis zum Golf klebt dir in der Stadt alles am Heck was weniger als 150 PS hat, an Ampeln und im Stau sollen wir den Gasfuß spielen lassen und auch sonst ist das Leben als Corvette-Fahrer nicht immer einfach.

Wir haben es ja immer gewusst: Wären wir echte Männer, würden wir Tesla fahren – so zumindest der Hinweis eines älteren Herren auf seinem Rennrad. Danke übrigens noch mal für die Info, aber wir bleiben beim Achtzylinder. Und wer so gar keine Lust auf seine Umwelt hat, der kann das Stoffhäubchen des Cabriolets in wenigen Sekunden und bis zu einer Geschwindigkeit von 50 km/h schließen. Im Innenraum gibt es den mittlerweile bekannten Corvette-Chic zu bestaunen und wer von ständig wechselnden Beifahrern immer aufs Neue gefragt wird, wie viel Leistung der Wagen hat – es genügt irgendwann der geübte Fingerzeig auf die Plakette unterhalb der Klimaregelung.

Fazit

Am Ende erhält die Chevrolet Corvette Z06 von uns einen klaren Daumen nach oben. Sie ist mit einem Einstandspreis von knapp unter 120.000 Euro günstiger als alle anderen Mitbewerber in diesem Leistungssegment, macht mehr Spaß, hat serienmäßig eine der besten (Bose-)Steroanlagen verbaut, kühlt und heizt (ebenfalls serienmäßig) die bequemen Sportsitze und bietet zwei groß gewachsenen Passagieren nebst Wochenendgepäck mehr als ausreichend Platz. Der 6,2-Liter Achtzylinder-Kompressor ist eine Wucht, der Durchzug atemberaubend und die Technik gleichermaßen leicht zu verstehen. Es gibt Autos, die will man immer wieder fahren – vielleicht sogar besitzen. Die Chevrolet Corvette Z06 gehört definitiv dazu.

Technische Daten*

Modell: Chevrolet Corvette Z06 Cabrio
Motor: LT4 Achtzylinder-V, Kompressor, 6.162 ccm
Leistung: 659 PS (343 kW) bei 6.000 U/min
Drehmoment: 881 Nm bei 3.600 U/min
Antrieb: Hinterradantrieb, 8-Gang-Automatik
Verbrauch: 14,1 l Super /100 Km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 3,7 s
Höchstgeschwindigkeit: 310 km/h
Abmessungen (L/B/H): 4,51 m/1,96 m/1,23 m
Gewicht: 1.659 Kg
Grundpreis: 119.700 Euro

*Herstellerangaben

Bilder: Thomas Vogelhuber