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Tränen der Ergriffenheit: Der Porsche Cayenne Turbo im Test

Sie alle kennen dieses berühmte Zitat eines mehr als geschätzten Rallyefahrers: „Beim Beschleunigen müssen die Tränen der Ergriffenheit waagerecht zum Ohr hin abfließen“, sagte einst Walter Röhrl. Und doch sprach er einmal Worte, die noch besser zum Habitus eines Porsche Cayenne Turbo passen und die sich interessanterweise sogar um ein zwangsbeatmetes Zuffenhausener-Produkt drehten: „Wenn man beim alten Porsche turbo aufs Gas getreten ist, hat sich zwei Sekunden lang gar nichts getan und dann hat man gemeint, es ist einem einer hinten drauf gefahren.“

Wir werden auf das zweite Zitat vom guten alten Walter später zurückkommen, wenden uns aber erstmal unserem neuesten Testwagen zu. Und sehen schon jetzt die maulenden Kommentare von wegen „das ist doch nur ein SUV“ vor unserem inneren Auge. Ja, die sogenannten „Sport Utility Vehicles“ sind uns normalerweise auch ein Graus, sie ergeben keinen Sinn in der heutigen Zeit, die doch vor Platzmangel und Klimadiskussionen nur so strotzt. Und trotzdem: Menschen kaufen sie, warum auch immer. Der Porsche Cayenne Turbo entspricht seit der ersten Generation, die bereits vor 15 Jahren ihr Debüt feierte, all diesen Vorurteilen: er ist hochmotorisiert, er ist ziemlich groß, er bietet dafür gar nicht so viel Platz und er ist ganz schön teuer. Genau deshalb wollten wir ihn schließlich auch mal fahren und gleichzeitig herausfinden: Kann er uns trotzdem packen?

Dem entgegen stehen Dinge, die auch der Porsche unter den SUV nicht einfach wegradieren kann. Ein bedingt durch die Bauweise vergleichsweise hoher Schwerpunkt, ein allen Einsparmaßnahmen zum Trotz hohes Gewicht, ein Luftwiderstandsbeiwert einer Schrankwand. Was genau reizt am Cayenne jetzt mehr als an einem simplen, möglicherweise leistungsstarken Kombi? Nur die Tatsache, dass es der einzige Porsche ist, mit dem sich fünf Personen samt Gepäck ordentlich transportieren lassen? Wir stehen allgemein ja eher auf kompromisslose Autos, die aus ihrer Herkunft keinen Hehl machen. Ein Sportwagen muss genau das bieten, wofür er gebaut wurde, ein Kombi muss in erster Linie praktisch und danach schnell sein, aber nicht sportwagenmäßig um die Kurve gehen. Und ein SUV? Es soll per definitionem alles vereinen, doch die Meisten versagen bereits beim Thema „Sport“ auf ganzer Linie. Schafft das der Cayenne, seines Zeichens der „Sportwagen für 5“ und „der sportlichste Vertreter seiner Klasse“?

Um diese Frage zu klären schwingen wir uns erstmal hinein in den weißen und wie üblich mehr als ordentlich ausgestatteten Testwagen. Was wir sehen, gefällt uns: Fein verarbeitete Kuhhäute wechseln sich mit echtem Aluminium ab und bilden mit den massiven Luftausströmern und den herausragenden Haltegriffen ein edles, aber trotzdem leicht rustikales Ambiente. Woran man merkt, dass der Cayenne seit der aktuellen Generation komplett in Bratislava zusammen mit seinen Konzernbrüdern Q7 und Touareg gebaut wird? Vielleicht an den im unteren Bereich etwas günstig wirkenden Türpappen, das war’s dann aber auch schon. Das zentral angeordnete Display sowie die hochglänzende Mittelkonsole kennen wir bereits aus dem Panamera, das Bedienkonzept mit vielen kleinen Touchflächen finden wir aber nach wie vor etwas fummelig und ablenkend. Schön gelöst ist der mittig-analoge Drehzahlmesser samt zweier Sieben-Zoll-Bildschirme links und rechts, die detailliert über die wichtigsten Informationen aufklären. Die passende – für ein SUV dieser Größe eher niedrige – Sitzposition in den adaptiven Sportsitzen (Serie) ist schnell gefunden, auch die Hinterbänkler finden in der zweiten Reihe einen angenehm dimensionierten Raum vor.

Und dann kommt der Moment, an dem uns der Cayenne Turbo zum ersten Mal packt: Beim Drehen des (nachempfundenen) Zündschlüssels links vom Lenkrad. Wohlig lässt sich der vier Liter große V8-Biturbo auf seine Arbeit ein, durchzieht das gesamte Auto mit diesem herrlichen Timbre eines Achtzylinders, ohne dabei aufdringlich oder gar künstlich zu wirken. Eine Sportabgasanlage oder schaltbare Klappen für den Lauter-Leiser-Betrieb suchen wir glücklicherweise sogar in der Aufpreisliste vergebens, stattdessen ist dort einfach nur dieser V8, der sinnlich und markant, aber keinesfalls prollig daherkommt. So lassen wir uns das gefallen. Und eine Änderung des Klangbildes findet auch nicht statt, wenn man am Drehschalter des Sport-Chrono-Pakets Ansprechverhalten und Fahrwerk vom Normal- auf das Sportniveau hebt.

Wenig Schnickschnack also, was sich auch über die verwendete Hardware sagen lässt. Besagter Vierliter-V8 leitet seine Kraft mittels Achtgangautomatik und serienmäßigem Allradantrieb an alle vier Räder. Das war sodann auch schon alles. Den Allradantrieb reduzierte Porsche ja bereits im Vorgängermodell um das aufwendige Verteilergetriebe samt Längssperre und Untersetzung, seither kommt im Cayenne „nur“ eine Lamellenkupplung zum Einsatz. Ein optionales Offroad-Paket gibt es zwar noch (1.785 Euro), bietet aber anders als im nicht mehr aktuellen Touareg (den wir hier als Terrain Tech-Variante fuhren) keine Sperren mehr. Was wir ein wenig schade finden, waren doch die Kraxleigenschaften des ersten Cayenne ein herausstechendes Merkmal unter den SUV. Aber: Kein Käufer brauchte es, wollte es, also weg damit.

Doch was braucht der gemeine SUV-Käufer dann? Vielleicht Komfort, wäre unsere vermittelnde Antwort, einen höheren Einstieg gepaart mit einem großzügigen Raumgefühl und einer vergleichsweise weichen Federung, denn wofür ist der Federweg sonst noch da, wenn nicht für den Geländeeinsatz? Der Inbegriff eines Land Rover Range Rover also (hier bei uns als V8 Supercharged im Test), doch das ist für den Cayenne keine Konkurrenz, das möchte er auch nicht sein, man merkt das sofort. Über schlechte Straßen rollt er lange nicht so sanft ab wie der britische Kollege, lässt mehr durch ohne knochenhart zu sein, liegt einfach spürbar straffer und damit umso porschiger, was man ja auch von einem solchen erwartet. Auf der Bundesautobahn wählt man deshalb gerne den Normalmodus des Luftfahrwerks an, im Sport- respektive Sport-Plus-Modus wird der Cayenne hingegen irgendwann unsanft und so gar nicht mehr „SUV-mäßig“ komfortorientiert.

Doch dass Zuffenhausen das Kapitel „Sport“ durchaus ernst genommen hat, spiegelt auch das Einlenkverhalten wider. Überzeugend agil reagiert die Vorderachse auf den Lenkbefehl, die breiten Pirelli-Pneus spielen mehr als ordentlich mit. Das fühlt sich ebenfalls sehr porschig an – einziger Nachteil ist, dass die Karosserie ab einem gewissen Grad nicht mehr mitmacht. Denn da können die Wankstabilisierung PDCC (3.272,50 Euro), Hinterachslenkung (2.046,80 Euro) und Torque Vectoring (PTV Plus, 1.487,50 Euro) an Bord sein und werkeln was das Zeug hält – der immer noch hohe Schwerpunkt und der große Motor an der Vorderachse möchten prinzipiell geradeaus. In zu engen und zu schnellen Kurven überfährt man das Auto somit recht schnell, was sich vor allem in uninspiriertem Untersteuern zeigt. Zügig gefahren verlangt der Cayenne nach einer sauberen Linie, möchte lieber langsam rein und dafür besonders schnell raus aus der Kurve. Wer sich damit anfreunden kann und ausreichend Auslaufzone um sich herum vorfindet, schaltet dann auch gerne mal die Fahrhilfen aus. Diese Mutigen bekommen ein SUV, das sich sehr neutral um die Kurven steuern und das bei Bedarf sogar das Heck leicht raushängen lässt. Das geht so weder mit einem Touareg, noch mit einem Q7 oder GLE! Wer doch vor der nächsten Biegung viel zu schnell ist, kann auf die Bremse vertrauen: in unserem Fall zeichnen Keramikstopper samt knallgelben Bremssätteln (5.961,90 Euro) für die entsprechende Negativbeschleunigung. Wir haben keinen Vergleich zur Serienbremse, können allerdings bescheinigen, dass die Bude bei warmer Bremse innert kürzester Zeit so zusammengestaucht wird, wie wir es selten bei 2,2 Tonnen-Autos erlebt haben. Fakt ist also nach unserem ausgiebigen Ausflug auf drittklassige Landsträßchen: Der Cayenne ist der sportlichste Vertreter seiner Klasse, ja. Er kann auch durchaus sportlich unterwegs sein, er ist aber naturgemäß weit davon entfernt, auch nur annähernd ein echter Sportwagen zu sein. Wenngleich man natürlich fragen darf: Wozu auch? Ein Unternehmen wie Porsche braucht das anscheinend, was wären sie in Zuffenhausen, wenn sie uns eine Sänfte hingestellt hätten, die keine drei Kurven fahren könnte ohne umzukippen?

Wer den „Sportwagen für fünf Personen“ regelmäßig auskostet, schafft es auch, den großen (90 Liter fassenden) Tank innerhalb weniger hundert Kilometer leer zu fahren. Man muss sich dafür allerdings deutlich mehr anstrengen als noch in den Vorgängermodellen des Cayenne, der ja ob seines exorbitanten Verbrauchs auch gerne mal als „Klimaschwein“ betitelt wurde. Wir maßen bei digitaler Fahrweise einen Maximalwert von 16,6 Litern pro hundert Kilometer, schafften aber moderat gefahren tatsächlich auch die neun vor dem Komma. Im Schnitt über rund 1.000 Kilometer kamen wir auf einen Durchschnitt von 13,3 Liter Super Plus, was angesichts der gebotenen Leistung und des Luftwiderstandsbeiwertes nicht unbedingt schlecht ist.

Doch sportliche Fahrweise macht gerade auf der Autobahn mit einem Cayenne Turbo – man höre und staune – am meisten Spaß. Egal bei welcher Geschwindigkeit man das rechte Pedal auf den Boden drückt, innerhalb weniger Millisekunden hebt sich die Haube gen Himmel und das Heck geht dermaßen Richtung Asphalt, dass man Mühe hat, den Hinterherfahrenden im Rückspiegel zu sehen. Muss man allerdings auch nicht, denn 3,9 Sekunden auf 100 Km/h und eine Spitzengeschwindigkeit von 286 Stundenkilometern lassen so ziemlich alles auf der Straße alt aussehen. Und so mancher dürfte sich ob der plötzlich sehr zügig herannahenden weißen Schrankwand ungläubig die Augen reiben. Aus dem Stand heraus braucht der Vierliter allerdings eine durchaus sympathische Gedenksekunde, um den Drehzahlkeller zu überwinden und ordentlich Boost aufzubauen – womit wir beim eingangs erwähnten zweiten Zitat von Herrn Röhrl wären.

Fazit

Wir reiben uns nach unserer Woche mit dem großen Porsche nicht die Augen, fragen uns stattdessen immer noch ein wenig, wozu er überhaupt so richtig zu gebrauchen ist. Ein Trumm von über 2,1 Tonnen, das mit seinen 550 PS zwar wahnsinnig schnell geradeaus geht, auf der Landstraße aber trotz toller Lenkung und viel fahrwerksseitigem Aufwand nicht zum Sportwagen mutiert. Er ist auch nicht praktischer als ein Kombi, beim Umklappen der Rücksitze entsteht keine ebene Ladefläche und der Mehrverbrauch durch die nach wie vor hohe Stirn ist nicht von der Hand zu weisen. Und er ist dann eben doch cool, hat diese gewisse Lässigkeit, das gewisse Etwas. Wir beenden diesen Fahrbericht, wie wir ihn begonnen haben. Mit einem Zitat: „Es ist ein Auto, das keiner braucht, aber jeder haben will.“ Nie passte dieser Satz besser als heute auf ein SUV wie den Porsche Cayenne Turbo.

Technische Daten*

Modell: Porsche Cayenne Turbo
Motor: Achtzylinder-V, Bi-Turbolader, 3.996 ccm
Leistung: 550 PS (404 kW) zwischen 5.750 und 6.000 U/min
Drehmoment: 770 Nm zwischen 1.960 und 4.500 U/min
Antrieb: Allradantrieb, Achtgang-Automatikgetriebe
Verbrauch (ECE): 11,7 l SP /100 Km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 3,9 s (mit Sport-Chrono-Paket)
Höchstgeschwindigkeit: 286 Km/h
Abmessungen (L/B/H): 4,93 m/1,98 m/1,67 m
Gewicht: 2.250 Kg
Grundpreis: 138.850 Euro
Typklassen (KH/VK/TK): 22/30/30

*Herstellerangaben